DIE ENTWICKLUNG DER STADT PAPENBURG
(Vortrag am 02.05.2019 HÖB, Papenburg)
1. Der Naturraum als Vorgabe für den Handlungsspielraum
Meine verehrten Damen und Herren,
der Heimatverein Papenburg dankt für die Ehre heute Abend über die Entwicklung Papenburgs zu sprechen.
Sie kennen sicher das Problem, vor dem Sie stehen bei der Frage: Was hebt man zur Darstellung eines umfassenden Themas hervor und was lässt man fort? Eine solche Auswahl bleibt immer etwas wie ein Balanceakt.
Mein Ziel ist nicht eine in Einzelheiten gehende Darstellung der Geschichte der Stadt. Ich werde mit Ihnen den Roten Faden der Stadtentwicklung verfolgen, etwas von den Bedingungen und Kräften aufzeigen, die den bemerkenswerten Aufstieg der Stadt und genauso die Höhen und Tiefen verursachten.
Handel und Navigationsgeschichte in der Region um Papenburg begannen auch nicht erst mit den Anfängen der Fehnkolonie (1631), sondern ungemein früher.
Papenburg und die umgebende Region (südl. Ostfriesland / nördl. Emsland) stellt sich als Gebiet dar, das seit ältester Zeit im Zugriff des immer hoch gefährlichen Meeres lag und durch das Einfallstor der Emsaue und des Flusses immer wieder durch das nahe Meer geprägt wurde. In dieser Tiefendimension der Geschichte war der Raum an der Unterems in allen Zeiten ein Teil des großen Handelssystems über den Fluss, entlang der südlichen Nordsee zwischen Rhein und Skandinavien zur Ostsee mit all den Gefahren, den großen Möglichkeiten und dem verlockenden Abenteuer:
Ohne diesen großen Hintergrund der langen nordeuropäischen Schifffahrtstradition erschließt sich kaum die Kulturgeschichte der Stadt und Region.
Damit verwundert wenig, dass etwa die römische Flotte im Verlauf der Kriegszüge des Germanicus (15. n. Chr.) von Norden in die Emsmündung ein segelten und die Emsachse für kurze Zeit besetzten. Viele Siedlungen reihten sich bereits zu der Zeit perlschnurartig entlang der Unterems auf.
Bei unvollkommenen Landwegen ersetzte der Fluss die Straße. Über das gesamte Mittelalter lässt sich ein reger Handel auf der Ems nachweisen.
Dabei ging es wesentlich um die Ausfuhr von Tieren und Tierprodukten (Käse, Butter, Wolle, Stoffe) und die Einfuhr von Getreide: Die Kleiböden an der Unterems waren schwer bearbeitbar. Das langfristige Getreide-Defizit war durch Handel auszugleichen.
Bereits deshalb wurde der Handel über den Fluss nie unterbrochen. Für die Neuzeit dokumentieren dies etwa auch die Schiffsbilder auf der Rückseite des Altars von Völlen, einem Nachbarort Papenburgs. Diese naturräumliche gegebene Struktur der Abhängigkeit vom Handel bis zum Meer sollte bis heute Papenburgs Schicksal prägen.
2. Das Erbe des Mittelalters als Langzeitperspektive und schwere Belastung
Und noch eine weitere Vorprägung sollte Papenburgs Werdegang bestimmen, der große mittelalterliche Süd-Nord-Konflikt zwischen dem Bischof von Münster und der friesischen Eigenverwaltung im Norden.
Wie war es dazu gekommen?
Die Christianisierung nach den Sachsen- und Friesenkriegen hatte Karl dem friesischen Missionaren Liudger in die Land gelegt (787). Ihm war bereits Kern-Westfalen anvertraut, das Gebiet des heutigen Westfalens nördlich der Lippe. Nun sollte Liudger auch Frisia (Friesland) missionieren, das Gebiet im Norden zwischen etwa heute Leeuwarden (NL) und Aurich (D). Getrennt waren diese beiden Bistumsteile durch das Emsland, das nicht zum Missionsauftrag gehörte.
Es wurde das Bestreben der Bischöfe von Münster durch das gesamte Mittelalter, vor allem in ihrer Eigenschaft als Fürstbischöfe, diese beiden Bistumsteile territorial miteinander zu verbinden und einen religiösen wie auch weltlichen Machtbereich von Münster bis zum Meer zu schaffen. Dieses Bestreben motivierte die Bischöfe durch das Mittelalter und nahm im Zeitverlauf fast zwanghafte Züge an. Die Bischöfe begriffen nicht hinreichend, dass sie mit ihrer Machtexpansion nach Norden bis zum Meer auf die Friesen stießen, zu deren Identität Unabhängigkeit und eine Form quasi-demokratischer Verfassung zählte. Kurz gesagt: Der bischöfliche Vorgriff nach Norden musste schließlich scheitern.
So wurde denn auch die Papenburg (vor 1431) als Symbol des bischöflichen Machtanspruchs nach Norden im Auftrag des Bischofs errichtet. Ihr Name sagte nichts anderes als „Burg des Priesters, des Bischofs“.
Die Reformation (in Ostfriesland ab etwa 1530) brach auch in diesem Teil Norddeutschland wie eine alles verschlingenden Welle, wie der große Umbruch los, stellte sogar in Münster die religiösen und die Machtgefüge außer Kraft. Ihr folgte aber eine mit hartem Willen vorangetragene Gegenreformation (bis 1616). Der alte Süd-Nord-Konflikt schwelte weiter, wenn auch jetzt religiös.
Papenburg war diesbezüglich gleichsam die Grenz- und Stirnfläche dieser großen Konfrontation. Aus dem Blick von Münster war genau darauf zu schauen, wem man die örtliche Macht in diesem Wetterwinkel anvertraute.
Dazu kam nur einer in Frage, dessen Familie sich über Generationen ohne den geringsten Vorbehalt die Interessen des Bischofs vertreten hatte.
Dieser Anspruch verkörperte sich in der Person des Dietrich von Velen (*1591, +1657). Die bischöfliche Abwehrhaltung und das Misstrauen gegenüber dem Norden nach Reformation und dem 30jährigem Krieg waren so beträchtlich, dass selbst diesem aus Bischofs Sicht untadeligen Mann erst zögerlich die kleinregionale Herrschaft an der Nordgrenze übertragen wurde.
Am 04.04.1631 belehnte Bischof Ferdinand von Bayern (*06.10.1577, +13.09.1650), der amtierende Fürstbischof von Münster, zugleich Erzbischof von Köln, Dietrich von Velen mit der verfallenen mittelalterlichen Burg, dem Gut Papenburg und den Mooren im Südosten davon. Dies gilt als das Gründungsdatum des neuzeitlichen Papenburgs.
Es sollte Dietrich von Velen alle Mühe kosten, nach all den unsäglichen Zerstörungen durch den 30jährigen Krieg, in diesem Grenzbereich etwas Neues aufzubauen, die Grundherrschaft Papenburg, genannt die „Herrlichkeit Papenburg.“
Mitten in diesem ungeheuerlichen Vorgang des großen Krieges (1618-1648) liegt die Gründung der Stadt Papenburg. Die Zeit großer Zerstörung war hier ein Neubeginn. Genau das ist das erste Ungewöhnliche im Blick auf Papenburg. Genau damit begann die neuzeitliche Stadt Papenburg.
Was waren die Ressourcen des neuen Machtgebildes? Es waren die geradezu unerschöpflich großen Torfmoore Papenburgs und die Chance des Transportanschluss über die Ems. Gleichzeitig herrschte im Norden, in Ostfriesland Mangel an Brenntorf für die Haushaltungen und die Ziegeleien an der Unterems.
Es zeichnete Dietrich von Velen aus, dass er die Bedeutung der Kooperation sah. Er holte sich aus den Niederlanden, aus Wilderfank, Provinz Groningen, fachlichen Rat für die Technologie der Torfförderung und -verschiffung.
Die Erschließung des Moores brachte zahlreiche wasserbauliche Probleme mit sich: Der wassererfüllte Torfkörper lag topographisch deutlich höher als die Ems.
Im Jahr 1638 aus den Wirren des großen Krieges nach Papenburg zurückgekehrt, machte sich Dietrich von Velen unverzüglich daran, die im Krieg zerstörten hölzernen Schleusen durch neue zu ersetzen. Aufgabe dabei war die Wasserhaltung in dem Kanal, der ins Moor geschnitten wurde, aufrecht zu halten. Dies geschah durch Einbau kleiner Kastenschleusen,Verlaathe genannt.
Genauso musste die dauerhafte Wasserführung in der Kanalverbindung zur Ems gewährleistet werden.
Ein kleiner Fluss, die Dever, verlief durch Papenburg zur Ems. Er mündete nördlich der ostfriesischen Grenze im Gebiet der Nachbarortschaft Völlen in Ostfriesland in die Ems ein. Diesen kleinen Fluss hätte man zum Torftransport nutzen können. Aber er leitete über ostfriesisches Gebiet, und Ostfriesland stand dem Aufkommen der neuen Fehnkolonie Papenburg feindselig gegenüber. Man hätte auf ostfriesischer Seite den Torftransport durch Ostfriesland jederzeit sperren können. All dies war gleichsam das Erbe des Mittelalters.
Dietrich von Velen löste das Problem dadurch, dass er die Dever, den kleinen Fluss, auf Papenburger Seite als Sielkanal zur Ems umleitete und so eine unmittelbare Verbindung von der Fehnkolonie zur Ems hin schuf, ohne ostfriesisches Gebiet zu berühren.
3. Der frühe Aufstieg der Fehnkolonie Papenburg
Der Beginn der Fehnkolonie Papenburg kann man sich kaum schwierig und bescheiden genug vorstellen.
Die ersten Siedler kamen aus der unmittelbaren Nachbarschaft, vor allem aus dem kriegszerstörten Ostfriesland. Sehr viele Papenburger haben damit ihre älteren Wurzeln in Ostfriesland.
Die Siedler erhielten eine Streifenflur, eine sogenannte Plaatze rechtwinklig zum Kanal. Auf dieser Plaatze gruben sie den Torf ab, trockneten ihn in Haufen aufgeschichtet, bereiteten ihn zum Verkauf vor. Aber wer transportierte ihn zum Verkauf?
Äußerst schwierig war der anfängliche Kapitalmangel auf Seiten der Papenburger Torfkolonisten. Er führte dazu, dass die ab 1660 stark gesteigerten Mengen geförderten Torfs aus Mangel eigener Transportkapazität von auswärtigen Schiffern und Schiffen verhandelt wurden.
Das bedeutet, dass der eigentliche Verkaufspreis des Torfes den auswärtigen Schiffern und weit weniger den einheimischen Torfstechern zu Gute kam, dem nur ein eher bescheidener Gewinnanteil bei ihrer Knochenarbeit blieb. Menge und Größe eigener Schiffe kann man sich in Papenburg anfänglich kaum bescheiden genug vorstellen. So wurde 1650 in Leer für Papenburg ein Schiff bestellt, Preis 10 Thaler (!). i
Das eigentliche Geschäft machten die Besitzer von Schiffen beim Torfverkauf. Viele Papenburger blieben lange Jahre ohne eigene Schiffe. Sie verkauften den Torf in Papenburg an auswärtige Torfschiffer. Es brauchte Jahre und Jahrzehnte, bis gegen Ende des 17. Jh., bis die Papenburger über eine größere Zahl eigener Schiffe verfügten.
Ein Protokoll von 1693 erwähnte, Papenburger Torfschiffe seien bereits seit 35 Jahren nach Emden unterwegs gewesen (damit seit 1658). ii
Rasch stellte sich die Frage der Rückfracht im leeren Schiff nach dem Torfverkauf. Auch die Rückfracht entwickelte sich nur langsam:
In den Abrechnungsbelegen des Verwalters des Drosten von Velen sind Eingänge und Ausgaben durch Schiffstransporte entlang der Ems notiert. iii Die z. T. schwer leserlichen Rechnungen notierten (10.11.1658) „na meppen in den Pünten“, (27.11.1658) „… hebbe 14 Scheffel Fiss lassen von Embden bringen, (kaufet für 6 gulden, 5 stüber), „… 1669 Johan Albers für 2 Schiff friesisch Mist, eidem (dem gleichen) für 1 Schiff voll (Dach)Pfannen, Steine und etzliche Stück Bauholz von Heede…“ bezahlt.
Da ist die Rede vom Antransport von Sand, von Muschelkalk aus Weener zur Mörtelzubereitung und von Backsteinen, welche er (Johan Albers) von Binnegumb mitgebracht.“ Die Ziegelei Brettauer (Brettower) zu Bingum wird mehrfach genannt (1686). Die Papenburger belieferten die Ziegeleien an der Unterems mit Brenntorf und holten Backsteine als die Bezahlung und als Rückfracht. Insgesamt gewinnt man den Eindruck der regen Flussschifffahrt. Außerdem brachten die Papenburger Klei und ostfriesischen Mist als Rückfracht zur Bodenverbesserung ihrer Sandäcker.
Immer wieder ist darauf zu verweisen: Ohne eigenes Schiff blieb wenig Verdienst härtester Arbeit. Der Erwerb des eigenen Schiffes muss deshalb das unbedingte Streben der Papenburger Moorbauern gewesen sein, woran sich über Jahrzehnte kaum etwas änderte.
Bis um 1700 hatte sich die Einwohnerzahl von Bewohnern von nun 36 Wohnplätzen (Plaatzen) stark vergrößert, gegenüber 1660 (mit 16 Plaatzen). Die Einwohnerzahl stieg bis 1710 auf 59 Plaatzen). Im ähnlichen Maß war die Torfgewinnung angewachsen.
Wegen der Grenzstreitigkeiten war kurzfristig ein Absatzverbot für Papenburger Torf in Ostfriesland durch Fürst Georg Albrecht Cirksena erlassen (1719), doch wegen Torfmangel in Ostfriesland und Druck aus Münster wurde das bald wieder aufgehoben (1721). Das Importverbot nach Ostfriesland verminderte den Torfabbau in Papenburg kurzzeitig deutlich. Dazu kam die Verwüstung weiter Siedlungsteile im ostfriesischen Absatzmarkt an der Unterems durch Sturmflut (Weihnachtsflut 1717).
Allerdings blieb dies eher eine der vielen, kurzfristig krisenhaften Phasen, die sich bald wieder ins Gegenteil verkehrten (ab 1720): Weder der bürgerkriegsartige Apelle-Krieg in Ostfriesland (1725–1727), noch die Papenburger Rebellion (1727) konnten die Aufwärtsentwicklung ernsthaft gefährden.
Eine Frage hatte sich schon früh gestellt: Was laden wir als Rückfracht in die leeren Schiffe nach dem Torfverkauf?
Die Rückfracht nach erfolgtem Torfverkauf nahm nach und nach immer größere Bedeutung an. Waren dies anfänglich vor allem Düngemittel für die Sandäcker Papenburgs und Heu für die Vieh-Winterfütterung bei Grünlandmangel der frühen Zeit, so steigerte sich die Bedeutung der Rückfracht bis 1748 von Jahr zu Jahr. Es war rasch aufgefallen, dass man durch „höher veredelte Rückfracht“ mehr verdienen konnte als durch den Torfhandel selber.
Es war nur folgerichtig, dass sich sehr bald einige Wagemutige vom Torf abwenden, sich zum Nicht-Torf-Handel hin bewegen würden. Diese Entwicklung lässt sich durch die Schiffsgröße fassen. Bei der zentralen Bedeutung der Schiffe in der Stadt wurden die mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht. Das galt für Reparatur und bald auch für den Bau. Torfschiffe erreichten bis um 1737 den Preis von bis zu 300 Emder Gulden oder wenig mehr bis max. knapp 1000 Gulden. iv
Die Papenburger Notariatsregister berichteten (1749) von einem Vertrag des Herm Jansen Albers, gen. Hoff und Joan Jansen Albers über ein Schiff, das er mit seinem Bruder befahren hatte. Herm Jansen Albers verkaufte den Halbanteil (die Halbscheid) des Schiffes für 1750 ostfriesische Gulden, womit das Schiff den Wert von 3.520 ostfriesischen Gulden einnahm. Damit war dies der erste Nachweis eines Schiffes, dessen Wert über die gültige Preisgrenze (für ein Torfschiff) von max. 1.000 Gulden weit hinaus ging, ein Schiff demnach von größerer Transportkapazität und deutlich weiterem Aktionsradius. v
Dabei erscheint bedeutsam, dass sich Herm Jansen Albers, zugenannt Hoff, als Schiffsbaumeister betätigte und dessen Sohn Joan Herms Albers, gen. Hoff, bereits 1768 den Hoffkanal für seine Werft ausbauen ließ: Daraus entstand die erste Werft Papenburgs, die Schiffe für Auftragsgeber weit über die Grenzen von Papenburg hinaus erbauten. Dies war die erste Großwerft in Papenburg.
Seeleute und frühe Reeder in Papenburg hatten schon früh darauf gedrängt, dass die Emsschleuse, das Drostensiel vergrößert würde. Den Neubau verhinderte der Siebenjährige Krieg (1756-1763), doch wurde ein solcher Neubau tatsächlich (1771) geschaffen, genannt das Drostensiel.
Von dem weiter bestehenden Torfhandel hatte sich ein Zweig der Schifffahrt abgespalten, der sich nun auf den freien Handel der Küsten- und auch Hochsee-Schifffahrt widmete, sich damit frei von Torf der Welt der großen Schifffahrt öffnete. vi Bereits 1774 durchsegelten die ersten Papenburger Hochseeschiffer den Öresund bei Helsingör zur Ostsee mit Kurs auf Sankt Petersburg: Von Papenburg nach Petersburg… Die übergroße Neugier lockte mit dem Abenteuer, was hinter den Horizonten lag: Das Tor war weit geöffnet.
4. Die Papenburger Seeneutralität
Dann trat eine Ereignis ein, das der Entwicklung Papenburgs Flügel aufsetzte sollte. Ich muss dazu ein wenig ausholen und bitte um Ihre Geduld.
Mit dem Ende des 30jährigen Krieges endete auch die spanische Vorherrschaft in Europa. An deren Stelle stiegen die Vereinigten Provinzen der Niederlande zur führenden Seemacht auf. Die Niederlande bauten ihre Seeherrschaft weltweit aus, besonders in Südostasien (Niederländisch Indien). Was Wunder also, dass rasch eine harte Konkurrenz gegenüber den Engländern entstand, die sich in drei heftigen Seekriegen entlud (1652-1674).
Die Engländer hatten auf lange Dauer dank größerer Ressourcen und einer zielstrebigeren Politik den längeren Atem.
Bis 1780 hatte sich die Macht ganz auf die Seite der Engländer verschoben. Es konnte somit für die Niederländer nur fatal enden, dass sie die Amerikaner in ihrem Freiheitskrieg durch Waffenhandel massiv unterstützten.
Das Beharren der Niederländer als de facto-Verbündete der Amerikaner sollte für die Niederländer zum Desaster werden, da die Engländer durch konsequente und systematische Weiterentwicklung der Schiffsbewaffnung überlegene Gegner geworden waren. Überall wurden niederländische Stützpunkte und Kolonien und viele Schiffe von der englische Flotte eingenommen.
Dabei gerieten zahlreiche niederländische Seeleute in englische Gefangenschaft, darunter viele Papenburger in niederländischen Diensten.
Beim Verhör gaben 46 solcher Papenburger Seeleute in niederländischen Diensten an, woher sie stammten. Auch dies belegt die ungemein engen Beziehungen der Papenburger zu den niederländischen Nachbarn gerade in der Ostindienfahrt.
Die englischen Verhörer ließen die Papenburger frei mit der Anmerkung, Papenburg sei Teil des Fürstbistums Münster und damit im Seekrieg neutral.
Die Nachricht wirkte als der Paukenschlag. Unverzüglich kehrten die Papenburger Seeleute heim und unverzüglich wurde der Sachverhalt nach Münster gemeldet, wo man eigene münstersche Seepapiere ausstellte, während der Seekrieg in voller Härte weiter ging. Natürlich hatten die niederländischen Seefahrer all das mitbekommen und beantragten umgehend auch für sich solche Papenburger Seepapiere mit dem Status der Neutralität.
Die Papenburger machten daraus ein Groß-Geschäft, indem sie neutrale Seepapiere in solcher Zahl verkauften, dass schließlich die Zahl dieser „eingemeindeten“ Seeleute und Schiffe die Zahl der in Papenburg um das Zehnfache überstiegen.
Aber zunächst erreichte alles in Papenburg eine unerhörte Blüte, ein Boom an Nachfrage der Schiffstonnage, den die Werften kaum bedienen konnten. Als erste Großwerft war die Werft von Albers-Hoff am Hoffkanal entstanden, die Schiffe bis Bremen lieferte.
1799 verfügte Papenburg über 19 Werften: Die Stadt sah sich in einem ersten Höhepunkt der Wirtschaft und Kultur. Der Schiffstyp der Zeit waren große Schmack-Schiffe und Kuffen, breite Schiffe zur Aufnahme großer Lasten, aber vergleichsweise langsame Schiffe.
Als außerordentlich erfolgreiche Wirtschaftsmethoden hatte sich früh eine Art von Aktien- oder Parten-Gesellschaft heraus entwickelt. Man konnte demnach sein Geld in Schiffs-, sprich in Gewinnanteilen anlegen, konnte also jeweils geringe Mittel auf Anteile an mehreren Schiffen streuen und erreichte damit eine deutliche Verminderung des Risikos durch Schiffsverlust.
Papenburg erreichte mit der Seeneutralität (ab 1781) insgesamt einen ersten Höhepunkt seiner Wirtschaft und Kultur. Als nunmehriger Global Player war die Stadt allerdings von allen politischen und wirtschaftlichen Wechselfällen in Europa auf Gedeih und Verderben abhängig.
Und die ließen nicht lange auf sich warten.
5. Als Global Player im Auf und Ab der größeren politischen und ökonomischen Entwicklungen
5.1. Vom Verlust der Seeneutralität, der Kontinentalsperre bis zum mühsamen Neuaufstieg durch die Wirtschaftskrise
Mit der französischen Revolution stieg ein Mann aus Korsika zum General und schließlich zum Kaiser der Franzosen auf, Napoleon I. (*1769, +1821) selbst gekrönt im Jahr 1804 in der Kathedrale von Notre Dame de Paris. Napoleon legte sich mit allen Mächten in Kontinentaleuropa an. Er bleibt überall Sieger und war 1807 (mit dem Frieden von Tilsit) de facto Herr über das ganze kontinentale Westeuropa.
Einzig die Seemacht England hatte sich seinem Zugriff entzogen.
Noch während seines Feldzugs gegen Preußen erließ Napoleon in Berlin (November 1806) eine Wirtschaftsblockade gegenüber Britannien, die Kontinentalsperre zur Absperrung der europäischer Küste, um durch Wirtschaftskrieg England in die Knie zwingen. Papenburg wurde seit der Neuordnung des Deutschen Reiches, dem Reichsdeputationshauptschluss von Herzog von Arenberg beherrscht (1803).
Noch immer fuhren die Papenburger unter neutralen Seepapieren.
Verschärft wurde die Situation dass bis 1803 das Zehnfache der wirklich Papenburger Seepässe im Umlauf war, so dass diese Papiere bis 1806 immer wenig anerkannt wurden: 380 Schiffe führten solcherlei Papiere.
Im Juni 1806 reiste deshalb der Papenburger Richter Gotfried Bueren nach London um doch noch etwas für die Neutralität der Papenburger Flagge zu erreichen. Da trat Herzog von Arenberg am 12.06.1806 dem Rheinbund bei, einer Verbindung von Staaten in Deutschland auf Seiten Napoleons und gegen England. Bueren bemühte sich sogar um eine Unabhängigkeit Papenburg, natürlich vergeblich.
Damit galt nun die Kontinentalsperre. Zwar wurde in Papenburg noch Schiffe neu gebaut, im Hoffen auf Änderung, aber diese Zahl sank bis 1811-1813 auf ganze 3 Fahrzeuge.
Die Papenburger Werften schlossen, die Schiffsbaumeister und die Reeder der Stadt versuchten als Kleinbauern von der Landwirtschaft auf ihrer Streifenflur zu überleben. Die Papenburger sahen sich auf Nichts zurück geworfen.
Erst mit der Völkerschlacht von Leipzig (1814) endete die große Küstensperre. Die neue Freiheit auf dem Meer wurde indes schwer belastet durch Kapitalmangel für den Neuaufbau. Noch viel schlimmer: Es folgte eine wirtschaftliche Krisenzeit bis etwa 1835 mit zahlreichen Konkursen in der Stadt. Nur erst nach und nach setzte die wirtschaftliche Erholung ein.
5.2. Der Wirtschaftsboom zur Zeit des Krimkriegs
Ausgerechnet eine internationale Krisenlage sollte der Papenburger Wirtschaft neu Flügel leihen, der Krimkrieg (1853-1856):
Die tiefere Ursache des Krieges war die innere Schwäche, der Zerfall des Osmanischen Reiches. Das militärisch starke Russland unter Zar Nikolaus I. erblickte das als Gelegenheit über das Schwarze Meer und den Bosporus nach Süden und Südwesten unmittelbar Zugang zum Mittelmeer und zum Balkan zu erreichen. Der Zar sah sich als Schutzherr aller slawischen Völker des Balkans und der Christen im Vorderen Orient. Dahinter stand aber das Ziel der Machterweiterung ins Mittelmeer.
Großbritannien und Frankreich sperrten sich gegen die Ansprüche Russlands. England wollte seinen wichtigen Handelspartner und den Schutz des Seewegs nach Indien gesichert sehen. Das osmanische Reich war zum Halbkolonie, ein Importeur für englische Ware und exportiere i. w. Rohstoffe. Frankreich Kaiser Napoleon III. sah in der Zurückweisung russischer Ansprüche die Möglichkeit seine neuen Großmachtträume durchzusetzen.
Der dadurch ausgelöste Krieg konzentrierte sich zunächst auf das heutige Rumänien, Bulgarien. Als sich die Russen von dort zurück zogen, landeten die Briten und Franzosen auf der damals russischen Krim und belagerten die schwer ausgebaute Festung Sewastopol (ab 1854) mit unerhörten Opfern auf allen Seiten durch einen ersten Materialkrieg bei ungeheuren Verlusten durch Mangelversorgung, Tod und Verwundung.
Der Bedarf an Lebensmitteln und sonstigen Hilfsmitteln der kämpfenden Armeen auf der Krim war geradezu gigantisch und war kaum zu befriedigen.
Der Bedarf an Schiffstonnage insgesamt explodierte: Der Schiffbau in Papenburg erreichte einen neuen Höhepunkt. Die Papenburger Schiffsbaumeister wechselten den Schiffstyp. Sie erbauten nun deutlich weniger Kuffen und Schoonerkuffen sondern seit Verlauf des Krieges erstmals auch Schnellsegler, die Brigg.
Der Bedarf an Schiffstonnage war so groß und musste so schnell befriedigt werden, war so gut vergütet, dass dadurch sogar überdeckt wurde, wie sich ein neues Transportmittel geltend machte, der Dampfer.
Nein, vorläufig galt es mehr den Transportbedarf zu decken. Das stand ganz im Zentrum. Das überlagerte alles. Der Krieg mit dem Exportboom dauerte jahrelang an, bis zum Friedensschluss 1856.
5.3. Vom Krimkrieg zum Niedergang der Segelschifffahrt über das 20. Jh. bis heute
Nach dem Krimkrieg, nach 1856, machten sich wieder wirtschaftliche Normalmaßstäbe geltend. Damit wurde nun die Konkurrenz durch die zwar technisch aufwendigeren, aber schnelleren und zuverlässigeren Dampfschiffe bemerkbar. Zwar verfügte Papenburg im Jahre 1867 über 189 Schiffe und damit über einen größeren Schiffszahl als Bremen, aber die Krise der Segelschifffahrt hatte längst begonnen. Immer mehr Unternehmer gaben das unrentable Geschäft auf.
Gravierend dabei war, dass größte Teile des Eigentums nach wie vor in der Parten-Reederei-Gesellschaften lagen, also mit dem Wert der Schiffe verbunden war. Die Schiffe aber wurden zu spät vom Markt genommen. Damit wurde viel Kapital vernichtet. So sah sich die Stadt bei beginnender Industrialisierung vor dem Problem des Kapitalmangels zur Überleitung in die neue Wirtschaftsform.
Dadurch verlief die Industrialisierung in Papenburg schleppend und verzögert und zwang wichtige Familien zum Verlassen der Stadt. Unmittelbar vor dem 1. Weltkrieg war eine gewisse Konsolidierung erreicht worden. Als äußeres Symbol dafür wurde das große Rathaus errichtet (1913).
Ansonsten durchlitt die Stadt die Katastrophe des 1. und 2. Weltkriegs wie Ganz-Deutschland und Europa, so dass hier die Geschichte Papenburgs in die allgemeine Geschichte Deutschlands einmündete.
Noch eins erscheint bedeutsam: Papenburg war während der Weimaer Republik eine wichtige Hochburg des Zentrums, das massiv alle NS-Vorgänge ablehnte. Bis zur Reichstagswahl von 1933 waren NS-Anhänger in der Stadt kaum in Erscheinung getreten: Die NSDAP war bis 1933 in Papenburg demokratisch nicht gewählt worden.
Papenburg hatte während des Krieges und gerade bei den Kämpfen der vorrückenden englisch-polnischen Armee um den 21.04.1945 schwer gelitten. Niemand hielt einen raschen Aufstieg für möglich: Papenburg lag 1945 bis in die 1950er Jahre gleichsam hinter den Winden.
Den eigentliche Neudurchbruch erreichte Papenburg ab 1974 mit den Arbeiten zum Neubau der Großwerft Meyer in Hofe am Papenburger Hafen. Die genialen Mitglieder dieser Familie Meyer hatten die Chancen der Zeit mit dem Bau von Großschiffen erkennt, von Gasttankern und ab 1986 mit Kreuzfahrschiffen. Mit dem Neubau der Werft vergrößerte sich die Einwohnerschaft Papenburgs wie mit einem Schub. Die Großwerft eröffnete neue, gewaltige Ressourcen für die Stadt, verstärkte aber auch die Tendenz der monostrukturellen Industrieausrichtung.
Mit dem Bau von Großschiffen ergaben sich auch alle bestehenden Fragen des Wasserbaus der Ems. So eröffnen sich mit dem ungeheuer viel Erreichten auch neue große Aufgaben, die zu lösen sind.
6. Versuch der Frage: Was verursachte den unerhörten Aufstieg Papenburgs?
Um diese Frage anzunähern könnte man Papenburg etwas abstrakter als System betrachten mit dem Ziel die einzeln wirksamen Größen und Kräfte und ihr Zusammenspiel zu erfassen:
Die Betrachtung kann damit beginnen auf die zur Zeit der Gründung Papenburgs geradezu unbegrenzten Vorkommen an Hochmoortorf zu verweisen. Dem stand eine massive Versorgungskrise an Brenntorf in Ostfriesland zu Ende des 30jährigen Krieges gegenüber, verursacht durch erhebliche Kriegszerstörungen im Land, gerade auch im benachbarten Saterland, wo vorher viel Torf gefördert wurde.
Dem geradezu unerschöpflichen Torfvorrat stand damit ein Großbedarf an Brenntorf in Ostfriesland gegenüber. An dieser Grundtatasche änderte auch der alt vererbte Süd-Nord-Konflikt wenig, wobei die größere Machtfülle im Süden bei den Fürstbischöfen von Münster lag. Die wirtschaftlichen Notwendigkeiten überlagerten den alten Konflikt des Mittelalters, der gleichwohl nur schwer auszuräumen war.
Die Dever war klugerweise auf eigenes Territorium umgeleitet worden um nicht von Ostfriesland erpressbar zu sein.
Die Ems und die Küstenzone boten sich als gefährdungsarmes Transportband für den Torfverkauf an. Dabei boten Fluss und Wattenmeer zwischen den ostfriesischen Inseln und der Küste weitgehend ungefährliche Gewässer gegenüber Stürmen bei den kleinen Schiffen, die anfangs zur Hochseeschifffahrt kaum geeignet waren.
Der Handel bildete in Papenburg einen zunehmend gewaltigen Sog immer größere Schiffe zu erwerben oder zu erbauen. Die Kostbarkeit der Schiffe führte zu frühen Reparaturarbeiten eigener Schiffe und bald zum Eigenbau von Schiffen. Daraus entwickelte sich rasch eine eigene Schiffsbauwirtschaft.
Bedeutend war die frühe Entdeckung, dass die nach dem Torfverkauf leeren Schiffe Rückfracht einnehmen konnten, die den Verkaufswert des Torfes weit überstieg. Diese Entwicklung wurde bereits in den 1740er Jahren beschritten. Die Papenburger Schifffahrt begann sich damit in zwei getrennte Bereiche zu teilen, in die konventionelle Torfschifffahrt und einen Handel mit Stückgut. Mit der viel größeren Schleuse (1771) wurden deutlich größere Schiffe erbaut, so dass man von der Küsten- zur Hochseeschifffahrt überging.
Spätestens ab dieser Zeit gehörte Papenburg zu den Global Playern.
Erfolge und Misserfolg der Stadt waren nun mit den politischen Entwicklungen und Konjunkturen in Europa und der Welt auf Gedeih und Verderben eng verbunden.
Bei solch größeren Maßstäben, bei den Berichten in der Familie, in der die meisten Familien Kapitäne stellten, rückte die Welt gleichsam zusammen. Da konnten viele sagen: „Ich bin auf dem Längengrad X und Breitengrad Y an Bord eines Schiffs geboren.“ So bildete sich sich die Weltläufigkeit bei manchen Familien zu einem Wertmaßstab und der wurde zum Ansporn für Töchter und Söhne.
Was Wunder also, dass sich die Weltläufigkeit bei manchen zum Lebensmaßstab entwickelte, gleichzeitig aber zum Blick auch auf das Eigene herausforderte. So entwickelte sich die Papenburger Identität zu einer Spannung zwischen Weltläufigkeit und Bodenständigkeit sowie Stolz auf Familie und Herkommen.
Bereits bevor solche Schlagwörter breiter die Runde machten, hatte sich hier die Einsicht in Erfolg durch lebenslanges Lernen durchgesetzt, was die große Neugier und das ständig hohe Maß an Lernfähigkeit voraussetzt.
Es wird also sehr aktuell sein, vertiefter darüber nachzudenken, was Papenburg besonders ausmacht.
Dabei stellt sich natürlich immer auch die Frage: Wie viele Menschen einer Gemeinde sehen sich bewusst in einer Tradition von Neugier, Leistung und Kultur?
(H. J. Albers und Team Forschungsgruppe / Heimatverein, Papenburg)
Bilder
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Hauptkanal, Zeichnung
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Karte Papenburg 1842
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Karte Umleitung Dever
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Bild alte Papenburg
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Durchsicht Band Geschichte der Stadt Papenburg,
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Dokumentation: 11.03.2019: erste Textelemente // 03.04.2029: 0.098 // 0.208 // 0.318 // 29.04.2019: 0.394 // 0.591 // 0.810// 0.841 // Übertragung von Elementen aus dem Buch, (Papenburg in der Neuzeit) damit 5.277 // 30.04.2019: 5425 // 6.594 // 6.948 // 01.05.2019: 7.191 // 7.614 // 7.793 // 7.924 // 8.125 // 02.05.2019: 8.644 // Löschung der importierten Texte: übrig: 4.344 //
i MACHENS, K., (1963, S. 63)
ii MACHENS, K., (1963, S. 63)
iii ALBERS, H. J., (1992, S. 7)
iv MACHENS, K., (1963, S. 67)
v MACHENS, K., (1963, S. 70)
vi ALBERS, H. J., (1993), persönliche Recherchen im Sundregister, Dänemark
….
DIE GEBURTSSTUNDE PAPENBURGS
(Textfassung vom 15.07.2019)
Der Heimatverein Papenburg arbeitet daran, frühere Lebenswelten der Menschen in der Stadt und Region so zu rekonstruieren und so in unsere heutige Gefühlswelt zu übersetzen, dass man Geschichte riechen, schmecken und möglichst die damaligen Bedingungen der Menschen nachvollziehen kann. Erst dadurch öffnet sich die Tür zu Geschichte und Kultur. Begleiten Sie uns in die Erlebniswelt der ersten Jahre und Jahrzehnte der Stadt Papenburg.
Ihm, Dietrich von Velen, (08.01.1591, Meppen, +10.09.1657 Paulsburg, Meppen), war viel gelungen. Nach den langen Bemühungen hatte er das große Moor an der Unterems, an der Grenze zu Ostfriesland aufgekauft. Das Gebiet war ihm vom Bischof von Münster als Lehen überschrieben worden, allerdings noch ohne die dazu gehörigen Rechte, (17.04.1631). Dass er die bischöfliche Zustimmung erhalten hatte, verdankte er seiner lebenslangen Loyalität dem Bischof und der katholischen Sache gegenüber.
Dabei hatte auch die politische Großwetterlage lange für ihn günstig ausgeschaut: Dieser 30jährige Krieg war seit 1618 letztendlich durchgängig siegreich für Katholisches und Kaiserliches ausgegangen. Die protestantischen Fürsten hatten alle die Waffen strecken müssen. Dass jetzt der Schwedenkönig Gustav Adolph auf Usedom gelandet war (06.07.1630), um in den Religionsstreit einzugreifen, hatte er hingenommen. Aber der Landung folgte die vernichtende Niederlage der Kaiserlichen in Breitenfeld bei Leipzig, (1631) und dann die Schlacht im nahe gelegenen Lützen (15.11.1632) mit der die katholisch-kaiserliche Macht in Norddeutschland ins Wanken kam. Hatte er, Dietrich von Velen, aufs falsche Pferd gesetzt, er, der dafür bekannt war, dass er sich nachdrücklich für Katholisches einsetzte?
Er, als gehasster Mann, hatte aus Papenburg, aus Meppen fliehen müssen, alles zurück gelassen. Die Flucht auf die Sparrenburg bei Bielefeld zu seinem Schwager hatte mit einer Art Gefangenschaft geendet, Hausarrest, bittere Monate, Jahre. Dabei gehörte er zu denen, die nicht still sitzen konnten. Jetzt zur langen Untätigkeit verdammt zu sein, das fiel ihm grausam schwer.
Nach Jahren hatte sich die Welt erneut verändert. Dieser Dodo von Knyphausen, zwischenzeitlich evangelischer Herrscher im Emsland, ein Herr von Schwedens Gnaden, getroffen von einer Kugel, war bei Haselünne im Kampf gefallen, (+01.05.1636). Dem war der militärische Vorstoß der katholisch Kaiserlichen zur Rückeroberung des Emslands nachgefolgt, der mit dem Sieg und der nächtlichem Erstürmung Meppens endete, (11.05.1638). Er, Dietrich von Velen, war zur Paulsburg in Meppen heimgekehrt, zur Familienresidenz.
Als Sieger auch zurück in Papenburg (1638): Seine Freude über die Wiederkehr wurde stark gedämpft. Wie sah es dort aus? Die von ihm erbaute Emsschleuse zerstört, auch das erste Verlaath am Hauptkanal, die Binnenschleuse.
Als Kolonisten hatte er nur den einen Heuermann (von 1631) angetroffen, der ihm Haarsträubendes von Überfällen aus Ostfriesland berichtete, von der Vernichtung der ersten Schleuse zur Ems, von Viehraub und Überfällen. Wie der mit Familie ins Moor floh und die Ostfriesen sie beschossen… Nein nichts war voran gekommen seit seiner Flucht. Der Heuermann hatte viel zu berichten. Halbwegs günstig waren dem die Trockenjahre hingekommen, (1631-1636), auch die extremen Dürrejahre (1631-1632). Das war die Zeit als der Torf in der Sommerglut rasch trocknete, sie aber sonst mit der ausgeprägten Herbsttrockenheit zu schaffen hatten.
Jetzt zurück in Papenburg schien alles nicht voran gekommen. Der Sielkanal zur Ems (für den geplanten Torftransport und -verkauf) war zwar begonnen worden, doch darüber er hatte er fliehen müssen. Aus dem Kanal wuchs Schilf. Den erneut und bis zur Ems hin weiter auszugraben begann jetzt wieder Jan Jansen, der riesenwüchsige Fahrmann vom Hampoel, genannt Poeljan mit seinen Leuten, die Knochenarbeit, dieses Graben durch abgrundtiefen Torfschlamm. Die Ausgrabung zog sich bei dem Regen hin. Regen und immer wieder Regen, der die Grabung zur Qual werden ließ. 1642 war der Kanal zur Ems, („das Tief“) noch nicht vollendet.
Das 1639 neu erbaute Siel (Schleuse) stand weiterhin funktionslos, der Kanal zur Ems war noch nicht fertig. Nichts kam voran. Und immer wieder Krieg: Er, Dietrich von Velen hatte im Herbst die Belagerung von Meppen miterlebt, Tage der Anspannung in seiner Wohnstadt, erst nach Tagen die Schweden endlich abgewehrt.
Als müsse sich der Kriegswahnsinn noch steigern: An sicheres Reisen war über Jahre nicht zu denken. Acht Jahre später Zuspitzung der Lage, (1647), Schweden, Hessen im Emsland, französische Hilfstruppen, erneute Belagerung von Meppen, Kanonade, die Hälfte der Häuser ein Raub der Flammen, Brandschatzungen im Land ringsum, Dörfer verbrannt, Haren, Sustrum, Dersum, Heede, Rhede, Herbrum, Aschendorf, Leute aus Heede, Rhede, Aschendorf mit Frau und Kind und Vieh versteckt im Moor, zwölf Wochen lang. Und immer noch Gefechte, der Brandenburger in Schwedendiensten, Hans Christoph von Königsmarck gegen den Kaiserlichen Guillaume de Lamboy. Der Krieg vernichtete den Rest.
Zurück in Papenburg (1638), war das Wetter von kalter Trockenheit genau ins Gegenteil geschlagen, feucht kalte Sommer verbanden sich mit kalten Herbstwetterlagen (1637-1654), bei größten Niederschlägen (um 1650).
Als hätte sich alles gegen das Projekt Papenburg verbündet. Regen: Der Spaten des Heuermanns glitt durch den regennassen Torf, und der Torf wollte, aufgestapelt, durch Dauerregen kaum trocken werden.
Dann aber dieses Jahr 1648, in dem man sich nach jahrelangem Ringen endlich in Münster und Osnabrück auf Frieden einigte. Dreißig Jahre Krieg, den Frieden kannte kaum mehr einer, Sieg des Politischen über Kriegsleidenschaft. Krieg um Religiöses? Darum hatte der Kriegswahnsinn längst nichts mehr zu schaffen.
In Papenburg wirtschaftete der alte Heuermann. Als erster war ein weiterer Siedler von außerhalb gekommen, Johan Veen (seit 1639). Dem hatte sich der große Wolbert angeschlossen, der Sohn des Poeljan, drei Siedler jetzt in Papenburg, (1639), aber: Wer wollte sich im Moor niederlassen? Im Moor in Regenjahren? Was gab es Härteres?
Den drei ersten Siedlern war Jahre lang nicht einer nachgefolgt, außer dem Herm Hoff (1643).
Die Folgejahre (1650-1656) waren geprägt von zeitweilig sehr harten Wintern, denen durch Schnee und Regen Überschwemmungen nachfolgten. Auch die Ems führte Hochwasser, das die Moorentwässerung empfindlich störte und im frühen Papenburg zu nichts als Dauernässe beitrug.
Dietrich von Velen hatte Bilanz gezogen, (1656). Bislang, seit seiner Rückkehr aus dem Krieg nach Papenburg, (seit 1638), hatten sich sage und schreibe außer dem alten Heuermann ganze weitere drei Moorkolonisten am Rand des großen Moores niedergelassen. All dies schien mehr als ernüchternd. War er gescheitert? Das Projekt Papenburg nichts als ein Fehlschlag?
Doch zu dieser Zeit (1656) schien manches sich zu ändern: Der große Regen endete. Weitere meldeten sich und nahmen Land im Moor, unter diesen der Soldat Niklas Jürgens (1657), Greten Herm (1657), Albert Gerdes, der Sohn Gerd Eeskens (1657) und Johan de Walker (1658).
Dietrich von Velen schloss auf der Paulsburg in Meppen seine Augen (+10.09.1657): Die Fehnkolonie Papenburg hatte überlebt, doch unter welchen Opfern entzieht sich der Vorstellung und dem, was Worte beschreiben können.
Dabei war die Moorkolonie auf Gedeih und Verderben vom Klima abhängig. Die kühl-trockenen Jahre (1621-1636) hatten durch Nachtfrost mehr als einmal den Buchweizen schwer geschädigt, die Regenjahre (1637-1655) hatten das Projekt Papenburg an die Grenze gebracht: Die Siedlung war in einer klimatischen Krisenzeit gegründet worden, im Maunder Minimum (zeitl. Schwerpunkt 1645-1715). Die Kaltjahre hinterließen nicht nur Spuren in der Natur, etwa in Baumjahresringen, sondern genauso in der Kunst. Genau dadurch erklären sich die Bildszenen von Menschen in vereister Landschaft, wie hier abgebildet etwa vom niederländischen Künstler Hendrik Averkamp (siehe Abbildungen).
Bereits lange vor der Industrialisierung (um 1850/1870) mit den „neuen Klimabedingungen“ und unserer heutigen Klimaproblematik beobachtete man eine wiederkehrende Abfolge klimatisch deutlich unterschiedlich geprägter Klimaphasen. Die wichtigsten Jahre der Frühzeit Papenburgs fielen zum großen Teil genau in eine solche klimatische Ungunstzeit, ins Maunder Minimum als Teil einer Abfolge kritischer Jahrhunderte, die man deshalb „Kleine Eiszeit“ nannte. Eine solche Abfolge von Zeiten unterschiedlicher Klimaprägungen wird hier abgebildet. Die positiven Spitzen (peaks) entsprechen Zeit größerer Wärmetönung.
Die Forschungsgruppe Naturwissenschaften und Archäologie des Heimatvereins Papenburg hat dazu ein über fast zehn Jahre dauerndes wissenschaftliches Projekt abgeschlossen, die Kombination regionaler Forschungen zur Landschaft und Archäologie der Region (etwa 300 Kapitel). Darin wird der Zusammenhang von Klima-Gunst- oder Ungunst-Phasen auf die Lebenswirklichkeit der Menschen untersucht, dies nicht nur im regionalen Blick sondern über Kontinente. Das Buchprojekt trägt den Arbeitstitel „Klima-Kulturgeschichte zwischen Leer, Ihrhove, Papenburg, Aschendorf und dem großräumigen Umfeld.“
Hinweise darauf und auf die zahlreichen weiteren Projekte und Aktivitäten des Heimatvereins finden sich im Internet unter Altes Papenburg. Darin wird die breit gespannte Mediathek des Heimatvereins Papenburg vorgestellt.
(Team Heimatverein Papenburg und Forschungsgruppe)
15.07.2019
gez. Dr. Hans J. Albers, 1. Vorsitzender
Dokumentation: 13.07.2019: 0.09 // 0.631 // 14.07.2019: 0.896 // 15.07.2019: 1070 // 1255 // 1362 //
Hier zeigen wir an einigen ausgewählten Beispielen, wie sich Papenburg im Lauf der Zeit verändert hat.
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Der Hafenbereich macht eine rasante Entwicklung durch:
Die Stadtmitte ebenfalls:
Mit freundlicher Genehmigung von